Wie Deutschland hatte auch Italien mit einem faschistischen Erbe zu kämpfen. Wurde es zunächst nach dem Zweiten Weltkrieg nicht groß thematisiert, so wollte sich eine junge Generation in den 1960er-Jahren mit dem Schweigen nicht mehr zufriedengeben. Anders als in Deutschland erfasste die 68er-Bewegung in Italien auch das Design. In rascher Abfolge gründeten sich in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre eine ganze Reihe von Designergruppen wie Archizoom (1966–1974) oder Superstudio (1966–1978). Die gesellschaftliche Rolle des Designs wurde grundlegend infrage gestellt und damit die in Italien gerade durch den Faschismus geförderte Haltung des Rationalismus, was in etwa dem deutschen Funktionalismus entsprach. Hatten die Nationalsozialisten den von der deutschen Moderne und dem Bauhaus propagierten Funktionalismus eher bekämpft, so förderten die italienischen Faschisten den Rationalismus. Aus Sicht der jungen Generation lag über dem international sehr erfolgreichen italienischen Design der 1950er- und frühen 1960er-Jahre also ein Schatten, seine Positionen und Ideale waren belastet. Deshalb versuchte man einen völligen Neustart und propagierte das Radical Design. Die 1976 in Mailand gegründete Gruppe Alchimia führte die unterschiedlichen Ansätze der 1960er-Jahre zur Perfektion und zu großem internationalen Erfolg. Die Ausstellung „Alchimia und das italienische Radical Design“ ist die erste große Retrospektive dieser für das 20. Jahrhundert so wichtigen Bewegung. Waren das Bauhaus und die deutsche Moderne der Meilenstein in der ersten Jahrhunderthälfte, so sind Alchimia und das Radical Design der große Wendepunkt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.